Firula

Frau Wurmke war eine sonderbare Frau. Das meinten zumindest die Dorfbewohner. Frau Wurmke wohnte draußen am Waldrand. Sie hatte dort das alte kleine Forsthaus gekauft, und Freunde aus der Stadt, und nicht aus dem Dorf, haben das Haus renoviert. Darum sagen die Dörfler, Frau Wurmke sei sonderbar. Man lässt doch die Handwerker aus der Nachbarschaft kommen und nicht die Städter. Ja, und zum Einkauf kam sie auch nur selten ins Dorf. Gemüse baute sie selbst an und Obst schenkten ihr die alten Obstbäume, die in ihrem Garten wuchsen. Und Fleisch ist sie gar nicht, raunten die Dorffrauen sich zu. Sehr sonderbar.

Frau Wurmke indessen kümmerte sich nicht um das Geschwätz. Sie ging ihrem Tagewerk nach, und das führte sie immer wieder in den Wald. Dort suchte sie nach speziellen Kräutern. Sie schnitt sie ab, wusch und trocknete sie, und machte daraus manch gute Medizin. Ihr Weg führte sie oft in die entlegensten Ecken des Waldes. So auch heute. Sie hatte bereits reichlich Kräuter geschnitten, als sie sich auf einem umgestürzten Baum niederließ, um sich auszuruhen, und ein wenig zu essen und zu trinken. Dann schloss sie für ein Weilchen die Augen. Sie liebte die Stille des Waldes.

Doch gerade jetzt wurde diese Stille jäh unterbrochen. Eine dunkle, raue Stimme schimpfte vor sich hin. „So ein Mist. Wie konnte mir das nur passieren. Oh. Oh, Oh, es tut so weh, fff,fff, fff.....“ Suchend sah sie sich um. Die Stimme kam aus der Gegend wo die Wurzel des Baumes hoch in die Luft ragte. Sie schlich auf leisen Sohlen, sie trug immer dicke Filzstiefel, dorthin und lugte über den dicken Stamm. Was sie dort sah erstaunte sie so sehr, dass ihr fast die Augen aus dem Kopf sprangen. „Was guckst du so blöd, hast du noch nie einen Drachen gesehen“ wurde sie angefaucht. „Nein, hab ich nicht“ erwiderte sie und plumpste auf der anderen Seite des Baumes herunter. „Schon gar nicht einen der sprechen kann. Und warum machst du immer fff fff?“ „Na ich versuche zu blasen um meine Tatze zu kühlen, die habe ich mir nämlich verbrannt.“ „Aber“ sagte Frau Wurmke lächelnd, wenn du blasen willst um zu kühlen, musst du die Lippen spitzen!“ und machte es ihm vor.

„Das weiß ich auch, doch es geht nicht, die habe ich mir auch verbrannt.“ Dicke Tränen liefen über sein Gesicht. „Es tut so schrecklich weh.“ „Ich kenne das, weil ich mich auch schon verbrannt habe, aber zu Hause habe ich eine Medizin, die wird dir helfen. Meinst du, du schaffst es bis zu meinem Haus?“ „Ich kann’s ja mal versuchen. Aber ich halte nicht viel von den Menschen. Sie sind meist nicht gerade freundlich zu uns Drachen gewesen.“ „Ich lebe allein“ beruhigte sie ihn, „auch mein Haus steht ganz allein.“ „Na ja, wenn das so ist, will ich deine Hilfe gerne annehmen!“

Und so humpelte der Drache mit schmerzverzerrtem Gesicht auf drei Beinen neben Frau Wurmke her und schaffte es nur mühsam bis zu ihrem Haus. Dort fiel er erschöpft auf die Terrasse. Emma Wurmke eilte ins Haus um eine Schüssel mit warmen Wasser, und ihre selbst gemachte Brandsalbe zu holen. Dann besah sie sich den Drachen. Der arme Kerl war ganz schön ramponiert. Unter der rechten Vordertatze prangte ein dicke Blase und auch auf der Oberlippe. Ein Ohr war angesengt und sogar die Schwanzspitze. Sie wusch ihn sauber und versorgte alle Wunden mit Heilsalbe. Nachdem sie ihm auch noch Trinkwasser hingestellt hatte, machte sie sich eine Tasse Kakao und setzte sich zu ihm. „So, und nun erzähl mir doch mal wie dir das passieren konnte. Übrigens hast du denn auch einen Namen?“ „Du darfst mich aber nicht auslachen.“ „Tu ich nicht“ versprach sie. „Also, ich heiße Firula, und bin ein Feuerdrache. Das bedeutet, dass ich Feuer spucken kann“ berichtete er stolz, „wenn ich es endlich richtig gelernt habe“ fügte er kleinlaut hinzu. Sie lehnte sich zurück und sah ihn genauer an. Er hatte eine Schulterhöhe von etwa fünfzig Zentimeter, einen sechzig Zentimeter langen Hals, auf dem ein Kopf saß, so groß und grün wie eine Melone. Darauf zwei breite Ohren, die am Ende spitz ausliefen. Hinten hatte er einen prächtigen langen Schwanz. Der ganze Körper war dunkelgrün, nur um den Bauch herum war das Grün etwas heller.

Der Leib, der Schwanz, die Brust und auch die Beine waren mit dunkelroten bis orangefarbenen Schuppen gepanzert. Wenn die Sonne, die gerade durch die Bäume schien, darauf fiel, sah es aus, als bestehe er aus Flammen. Über den Kopf bis hin zur Schwanzspitze hatte er einen gezackten Kamm, den er aufstellen und flachlegen konnte.

Und zwischen den Schultern, nahe der Wirbelsäule wuchsen ihm Flügel. Sie waren, so wie der Drache selber, noch nicht ganz entwickelt. Er war ein wunderschönes Feuerdrachenkind. Während Frau Wurmke ihn so betrachtete, begann er zu erzählen. Tief im Wald lag ganz versteckt eine große Höhle. Sie war sehr groß und von mächtigen Felsen umgeben. Seit vielen Jahren wohnte er dort mit seinem Vater. „Weißt du“ brummelte er, „erst im Alter von hundert Jahren können wir Feuerdrachen anfangen Feuer zu spucken. Das wird uns von unseren Vätern beigebracht. Es ist nämlich nicht so einfach. Ja, und gestern bin ich hundert Jahre alt geworden. Aber mein Papa ist nicht da. Er ist nach Italien geflogen. Dort spuckt ein Vulkan gerade Feuer und das wollte er sich ansehen. Meinte, vielleicht könne er noch was lernen.  Also wollte ich alleine Feuer spucken lernen. Erst kam ein kleines bisschen Feuer und ich war schon ganz stolz. Aber beim zweiten Mal kam eine riesige Flamme. Unser Schlaflager fing zu brennen an und beim Löschen habe ich mir dann die Tatze und den Mund verbrannt.“

Vorsichtig schielte er zu Emma Wurmke hinüber, ob sie nicht doch lachte, aber sie war ganz ernst. obwohl sie innerlich schon über das unglückliche Kerlchen lächelte. „Und wenn mein Papa zurück kommt und die verrußte Höhle sieht, wird er mir eine mächtige Strafpredigt halten. Er hatte mich nämlich ermahnt und gemeint, ich solle nicht alleine Feuer spucken lernen, das sei gefährlich. Aber ich habe ihm nicht geglaubt. Das habe ich jetzt davon.“ Die Frau streichelte ihm sanft den Kopf. „Weißt du was, du bleibst ein paar Tage hier, bis du wieder gesund bist. Dann gehe ich mit dir in die Höhle und wir zwei machen sie so sauber, dass dein Papa nicht merken wird, was du angestellt hast. Was meinst du dazu?“ Firula sah sie glücklich an: „Das würdest du für mich tun?“ „Ja, aber du musst mir versprechen, hier bei mir keine Feuerübungen zu machen.“  „Versprochen“ murmelte der Drache selig und schlief sofort ein. Frau Wurmke legte eine Decke über ihn, und legte sich ebenfalls zu einem Mittagschläfchen in die Hängematte, die zwischen den Apfelbäumen hing.

© Marion Kühnen 

 

       
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   

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